Maximilian von Heyden
Henrik Jungaberle
Tomislav Majić Hrsg.
Suchtpräventive Ansätze: eine transnationale Perspektive
Gregor Burkhart
Mit dem Auftreten neuer psychoaktiver Substanzen ist Prävention wieder mehr in den Blickpunkt des medialen und politischen Interesses geraten. Allerdings scheint das auch dazu geführt zu haben, dass überholte und zweifelhafte Ansätze wie Informationsvermittlung wieder an Bedeutung gewinnen, wenn auch in modernerer Aufmachung. Dennoch beruhen sie auf Fehlannahmen über menschliches Verhalten, nämlich darauf, dass wir rational handeln würden, dass sich Impulskontrolle mit Aufklärung meistern ließe, dass Jugendliche wie Erwachsene funktionieren würden oder dass Risikoreduzierung verschieden von Prävention wäre. Gerade jugendliches Risikoverhalten ist vor allem von der Wahrnehmung sozialer Normen und vom Grad der eigenen Impulskontrolle geprägt. Daher beruhen wirksame präventive Ansätze eher auf Techniken, die den sozialen und physischen Kontext verändern – wie z. B. elterliche und soziale Normen oder Regulierung bestimmter Industrien – oder in Individuen bestimmte Fähigkeiten trainieren, wie z. B. Impulskontrolle oder soziale- und Selbstkompetenz. Es ist damit auch weit nützlicher, die wirklichen Inhalte und Wirkprinzipien von Maßnahmen zu analysieren, als deren ideologische Etiketten wie z. B. „Schadensminimierung versus Prävention“. In Europa gibt es Erfahrungen mit einigen wirksamen Ansätzen in der Sucht- oder Gewaltprävention, die sich auch in Situationen sich wandelnder Konsummuster einsetzen ließen, weil sie generell weitgehend substanzunspezifisch sind. Damit erfordert das NPS-Phänomen auch keine Rundumerneuerung der Suchtprävention sondern lediglich einen gut und weit implementierten Einsatz wirksamer Ansätze in den entscheidenden Einsatzfeldern Schule, Familie, Internet und Partysettings, sowie ein ernsthaftes Engagement für die Verhältnisprävention. Andernfalls besteht die Gefahr, dass unbedachte informative Maßnahmen Schaden anrichten, indem sie entweder die selektive Wahrnehmung für eigentlich seltene Substanzen erhöhen oder deskriptive Normen und damit den Eindruck von Normalität und Akzeptiertheit verstärken. Ebenso können sie sozioökonomische Ungleichheiten verschärfen, da sie für vulnerable Zielgruppen besonders nutzlos sind. Eine Reihe jüngst publizierter Standards für die Suchtprävention können hilfreich dabei sein, die Suchtprävention zu verbessern, wenn sie auf politischer Ebene die EntscheidungsträgerInnen mehr dazu verpflichten, wirksame Maßnahmen zu bevorzugen und die Ausbildung der Präventionsfachkräfte zu intensivieren oder wenn sie auf operativer Ebene die Implementierungssysteme für Suchtprävention funktioneller und nachhaltiger machen.
Gregor Burkhart
Dr. med. MPH
Studium in Mainz (Medizin: 1985-1991) und Düsseldorf (Public Health: 1994-1996).
Promotion an der Universität Düsseldorf 1994 über Krankheits- und Körperwahrnehmung im Candomblé-Kult in Salvador da Bahia. 1992-1996 Kinderarzttätigkeit in Köln-Chorweiler.
Seit 1996 beim European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction in Lissabon, Entwicklung der EDDRA Datenbank und der Evaluation Instruments Bank sowie des Prevention and Evaluation Resource Kit (PERK) und der Prevention Profiles auf der EMCDDA Website. Haupttätigkeit: Indikatoren zu entwickeln, um Formen, Funktionen, Angemessenheit und die Implementierung von Präventionsmaßnahmen und -politiken in Europa vergleichbar abbilden zu können.
Gastdozent an der Universität von Granada seit 2003 und Mitbegründer der European Society for Prevention Research (2010).
DOI: 10.1007/978-3-642-55214-4_5-1
Online ISBN: 978-3-642-55214-4