Prof. Dr. Gundula Barsch (Januar 2017) – Text als PDF herunterladen
Auswirkungen der Regulierungsprozesse auf die Nachfrage nach Behandlungen bei problematischem Marihuana-Konsum
Wird die Möglichkeit eines autonom kontrollierten und problemlos in den Lebensstil integrierten Cannabiskonsum bezweifelt, ergibt sich die Besorgnis, dass es mit einer Regulierung umgehend zu einem massiven Anstieg hochproblematischer Konsummuster kommt, die umfassende therapeutische Hilfe begründen. Die bisher vorliegenden Daten zeichnen allerdings dazu ein anderes Bild:
- Unter der Gesamtzahl der Suchtkrankenbehandlungen (Gesamtbevölkerung 12 Jahre und älter) haben Therapien wegen problematischen Marihuana-Konsums schon immer einen geringen Anteil, der seit 2011 kontinuierlich gesunken ist (15 % im Jahr 2014). (Die Behandlungsrate für substanzbezogene Störungen in der Gesamtbevölkerung (12 Jahre und älter) war vor zehn Jahren höher (2004 = 729 Fälle pro 100,000 Einwohner; 2014 = 591 Fälle pro 100,000 Einwohner). Die Hintergründe für müssen hier offenbleiben.)
- Unter den Behandlungen problematischer Marihuana-Konsumformen kann als Besonderheit die Dominanz ambulanter Angebote gelten: Im Jahr 2014 fanden 86 % aller Behandlungen in ambulanten Settings statt, davon 62 % in ambulanten Intensiv-Settings, die eine Anwesenheit von mindestens zwei Stunden pro Tag erfordern. (Weil es auch Wechsel in den jeweils gewählten Settings gibt (z. B. von Intensiv-Care zu normalen ambulanten Regimes), sind die Prozentzahlen in der Summe nicht 100 %.)
- In den USA sind es eher die Heranwachsenden und jungen Erwachsenen, die wegen ihres Marihuana-Konsums eine Behandlung aufnehmen: Im Jahr 2012 wurden 34 % aller Behandlungen wegen problematischen Cannabiskonsums von Personen unter 20 Jahre begonnen (im Jahr 2014 waren 32 %). Zu beachten ist allerdings, dass diese Altersgruppe nur 8 % aller insgesamt Behandelten ausmacht, weshalb die absoluten Zahlen sehr gering sind.
- Unter den Behandlungen bei problematischem Substanzkonsum waren Jugendliche zwischen 12-17 Jahren sowohl Prä- (bis zum Jahr 2012=7 %) als Post-Regulierung (2014=5 %) in der deutlichen Minderheit. (Die Relevanz dieser Einschätzung wird nochmals unterstrichen, wenn man die prozentualen Anteile der Altersgruppen an den Behandlungen in Bezug setzt zu deren Anteilen an der Gesamtbevölkerung setzt: Während 2014 die Gruppe der 12-17-Jährigen einen Anteil von 9 % an der Gesamtbevölkerung der USA hatte, betrug deren Anteil an den Behandlungsfällen 5 %; die Gruppe der 18-44-Jährigen hatte einen Anteil von 43 % an der Gesamtbevölkerung, war aber an den Behandlungsfällen mit 69 % beteiligt; die Gruppe derjenigen, die älter als 45 Jahre waren, hatte an der Gesamtbevölkerung einen Anteil von 48 %, an der Zahl der Behandlungsfälle brachten sie allerdings nur 26 % ein.). Dieser Trend zeigt sich eindrücklich auch im Rückgang der absoluten Zahlen, die sich quasi halbiert haben (von 146.423 auf 78,018 Personen in den Jahren 2004 bis 2014).
- Der prozentuale Anteil der 12-17-Jährigen, die sich wegen Problemen mit ihrem Marihuana Konsum in Behandlung begeben haben, ist zwischen 2004 (64 %) und 2014 (76 %) ohne Piek kontinuierlich gestiegen. Zu beachten ist jedoch, dass die absolute Zahl der Behandlungsfälle in diesem Zeitraum um 36 % gesunken ist (von 93,474 auf 59,549 in der Zeit von 2004 bis 2014) (TEDS 2016, S. 30). (Die Bevölkerung der USA ist in den letzten Jahren insbesondere durch die Erwanderung junger Menschen um 10 % gewachsen, weshalb eine sinkende Zahl von Personen dieser Altersgruppe diese Entwicklungen nicht erklären kann.) Das bedeutet, dass bei den 12-17-Jährigen zwar die Inanspruchnahme von Cannabis-Behandlungen dominiert, diese am Zustandekommen anderer Behandlungsfallzahlen nur wenig beteiligt sind. Insofern haben sich also im Vergleich zu den Vorjahren in dieser Altersgruppe Probleme mit anderen psychoaktiven Substanzen (Alkohol, Kokain, Methamphetamine) offenkundig relativiert.
- Der Anteil der 18-29-Jährigen an der Gesamtzahl der Behandlungen stieg sanft und ebenfalls ohne Piek Prä- und Postregulierung (2004 = 31 %, 2014 = 34 %). Dies ist auch die Altersgruppe, die von den Regulierungen des Marihuana-Konsums profitiert.
- Das Durchschnittsalter der wegen Marihuana-Konsums Behandelten ist Postregulierung bestiegen (2012=25 Jahre, 2014=26 Jahre).
Herauszustellen ist, dass unabhängig von den drogenpolitischen Regulierungen die 12-17- Jährigen nur im geringen Umfang freiwillig eine Behandlung wegen ihren MarihuanaKonsums aufnehmen (nur 20 % auf eigene Initiative oder auf Initiative von Einzelpersonen z. B. Eltern). 44 % aller Behandlungsaufnahmen kamen auf Anordnung durch ein Gericht oder Strafvollzugsinstitutionen zustande, 13 % durch die Schule, der Rest durch andere Institutionen. (Die Besonderheit, dass eine Behandlungsaufnahme wegen problematischen Marihuana-Konsums, weniger als bei anderen Substanzkonsumstörungen selbstinitiiert oder durch andere Einzelpersonen zustande kommt, zeigt sich auch bei der Gesamtzahl der Behandlungsfälle. Im Jahr 2014 wurden beispielsweise 52 % aller Behandlungen durch Gerichte oder andere Strafinstanzen angeordnet.). Offensichtlich wurde mit Einführung der Regulierung insbesondere bei 12-17-Jährigen schneller eine Behandlungsaufnahme angeordnet, wenn bei einem Delikt auch Marihuana als Erst-, Zweit- oder Dritt-Substanz eine Rolle gespielt hat. Dies deutet auf eine veränderte Strafpraxis.
- Im Vergleich zu den Vorjahren geht zeitversetzt mit dem Regulierungsprozess (2014) die Zahl der Therapieauflagen durch Gerichte/Strafverfolgungsinstitutionen langsam zurück (41 %); stattdessen werden die Jugendlichen nun durch andere Institutionen zu einer Therapieaufnahme gedrängt (49 %). Die Hintergründe dieser veränderten Strafpraxis konnten nicht geklärt werden.
- Interessant ist zudem, dass diejenigen, die sich wegen problematischen Marihuana-Konsums in Behandlungen begeben, schon sehr früh mit diesem Konsum begannen: 24 % der in Behandlung befindlichen Personen im 12. Lebensjahr, 30 % im 14. Lebensjahr. Damit deutet sich an, dass ein frühzeitiger Konsumbeginn zu einem Prädiktor wird, um später als Konsument auffällig zu werden und eine Behandlung zu benötigen. Allerdings kann auch wegen der hohen Zahl der disziplinarisch angeordneten Behandlungen aus diesen Daten nicht abgeleitet werden, wieweit die Behandlungsaufnahmen zugleich für eine besondere Problematik der Konsummuster spricht. Da für problematische Marihuana-Konsumformen mehrheitlich ambulante Behandlungssettings genutzt werden, ist der Schluss zulässig, dass es sich in der Regel um vergleichsweise leicht behandelbare Probleme handelt.
Diese nationalen Daten verdeutlichen, dass die vielfältigen Schritte einer Entkriminalisierung und Legalisierung in den USA nicht zu dem oft angenommenen rasanten Anstieg von Therapiefällen unter Jugendlichen geführt haben. Unübersehbar ist allerdings, dass die 12-25-Jährigen diejenigen sind, die überproportional nach Therapien bei problematischem Marihuana-Konsum nachfragen. Dies erklärt sich aber vor allem daraus, dass diese Altersgruppe auch diejenigen ist, für die epidemiologisch auch die höchsten Konsumraten ausgewiesen werden.
Detaillierte Berichterstattung und Literaturverweise unter: http://gundula-barsch.de