Cannabis und Verkehrssicherheit
Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis in den USA
Prof. Dr. Gundula Barsch (Januar 2017) – Text als PDF herunterladen
In Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit und deren Entwicklung im Zuge der Regulierung des Marihuana-Konsums ist interessant, dass die Bundesstaaten Colorado und Washington unterschiedliche verkehrsrechtliche Regelungen umsetzen.
In Washington sind auch die verkehrsrechtlichen Regelungen rund um den Marihuana-Konsum im Zuge der Regulierung radikal geändert worden: Sofern der Fahrer älter als 21 Jahre alt und die THC-Blutkonzentration auch zwei Stunden nach der Fahrt nicht höher als fünf Nanogramm pro Milliliter Blut ist, ist der Konsum unter Verkehrsteilnehmern straffrei. Damit wurden nach einem Totalverbot erstmals Limits für den Marihuana-Konsum bei einer Teilnahme am Straßenverkehr vorgegeben. Mit der Regulierung wurde zugleich ein neues Delikt in den Katalog der Verkehrsdelikte aufgenommen: „Driving under the influence of drugs: Marihuana (DUIM)“, woraus sich folgerichtig die Herausforderung stellt, diese neuen Vorgaben auch kontrollieren und ggf. sanktionieren zu können. Also wurde mit der Einführung des Verkehrsdelikts „DUIM“ ein intensives Ausbildungsprogramm für an der Strafverfolgung beteiligte Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Laborangestellten gestartet. Geschult wurde, wie zu diesem Delikt zu ermitteln ist; zeitgleich wurden Möglichkeiten für Bluttests aufgebaut, um die Teilnahme am Straßenverkehr mit Marihuana-Konsum auch kontrollieren zu können. Das Forensic Laboratory Services Bureau des Bundesstaates registrierte als Folge der veränderten Gesetzeslage bis 2014 einen Anstieg der Nachfrage nach quantifizierenden THC-Tests um 45 %. Die Tatsache, dass noch Ende des Jahres 2014 ein Überhang nicht bearbeiteter Tests berichtet wurde, verdeutlicht, mit welchen Herausforderungen auch die Exekutive konfrontiert war.
Das Gesetz legte zugleich fest, dass ausschließlich ein Bluttest auf aktives THC durch dafür autorisierte Stellen für eine Strafverfolgung zulässig ist. Damit kommen z. B. die in Deutschland bei Verkehrskontrollen üblichen Schnelltests für die Washingtoner Praxis nicht in Frage. Dies ist im Zuge der Regulierung eine folgerichtige Entscheidung, immerhin weisen positive Tests auf Carboxy-THC oder andere Cannabiniode nur darauf hin, dass die Person Cannabis konsumiert hat, erklären aber nicht, ob zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls tatsächlich eine psychoaktive Beeinträchtigung vorlag. (Aus aktivem THC verstoffwechselte, selbst nicht psychoaktiv wirkende, aber lange im Körper nachweisbare Cannabiniode.)
Auch der Bundesstaat Colorado hat im Zuge der Regulierung die Regeln zur Teilnahme am Stra- ßenverkehr spezifiziert. Im Unterschied zu Washington ist es in Colorado prinzipiell nicht erlaubt, unter Einfluss von Marihuana zu fahren. Ab einem Blutwert von fünf Nanogramm aktiven THC pro Milliliter Blut erfolgt eine Bestrafung, in deren Folge dem Fahrzeugführer der Führerschein für drei Monate entzogen, Strafpunkte vergeben sowie harte Geldstrafen (zwischen 600 und 1000 Dollar), abzuleistende Stunden gemeinnütziger Arbeit (mindestens 48 Stunden) und Haft (bei einer Erstauffälligkeit mindestens fünf Tage, die mit der Aufnahme einer Behandlung allerdings ausgesetzt werden können) ausgesprochen werden können. Colorado popularisiert diese Verbotspolitik mit einer Kampagne „Drive High, Get a DUI“. Allerdings praktiziert Colorado diesbezüglich keine Zero-tolerance-Politik, durch die jeder Nachweis von THC oder seiner Metaboliten zum Strafgrund wird. Ähnlich wie in Deutschland bei Alkohol muss vor Gericht nachgewiesen werden, dass mit dem positiven Blutspiegel tatsächlich auch eine Beeinträchtigung des
Fahrverhaltens einherging. Für den gerichtsverwertbaren Nachweis von Cannabis ist ausschließlich ein Bluttest auf aktives delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) festgelegt, der von dafür autorisierten Laboren durchzuführen ist.
Welche Erfahrungen werden mit diesen Regelungen gemacht?
Fazit: Es schält sich heraus, dass die Wechselwirkungen zwischen neuen Konsumerfahrungen und einer verantwortungsbewussten Teilnahme am Straßenverkehr eher als vermittelt über diverse andere soziale Bezüge verstanden werden müssen3. Der Vergleich zwischen Washington und Colorado unterstreicht, dass dazu u. a. gehört, ob und wie klar Limits und Grenzen für eine Vereinbarkeit von Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr gesetzt, deren Sinnhaftigkeit für die Zielgruppe vermittelt und durch Kontrolle und Sanktion auch durchgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass für eine Bevölkerung, in der Marihuana legal konsumiert werden kann, Testroutinen festzulegen sind, die nicht einen Konsum in zurückliegender Zeit, sondern tatsächlich eine aktuelle Beeinträchtigung der Person durch aktiv wirkendes THC nachweisen. Welche Cut-off-Werte dafür gelten sollen, ist zudem wissenschaftlich zu begründen. Die in Washington und Colorado geltenden 5 ng/ml Blut scheinen eher willkürlich festgelegt.
Unübersehbar ist, dass sich mit der legalen Verfügbarkeit von Marihuana auch in Bezug auf die Möglichkeiten und Grenzen einer Vereinbarkeit von Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr unter allen Verkehrsteilnehmern Lernprozesse zu einem Risikomanagement vollziehen müssen. So waren im Jahr 2014 65,1 % aller befragten Fahrer der Auffassung, dass zwei Stunden nach dem Marihuana-Konsum die Fahrtauglichkeit wiedergegeben sei, 45 % der Befragten sind allerdings schon vor Ablauf von zwei Stunden gefahren, 60 % glaubten, dass ihr Marihuana Konsum ihre Fahrtüchtigkeit nicht beeinflussen würde und nur 3 % beurteilten, dass ihr aktueller Konsum ihre Fahrtauglichkeit verschlechtere. Die Bedeutung solcher sozialer Lernprozesse ist bekannt: Diese waren in ähnlicher Form in den ostdeutschen Bundesländern ab 1993 zu bewältigen, als im Zuge der Vereinheitlichung der verkehrsrechtlichen Regelungen die strikte Null-
Bei der Auseinandersetzung mit den empirischen Daten der einzelnen Bundesstaaten ist zu berücksichtigen, dass in den USA die Zahl der bei Verkehrsunfällen getöteten Personen seit 2013 kontinuierlich ansteigt. Als Ursachen dieses Trends werden steigende Mobilität in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit und geringe Benzinpreise genannt, in deren Folge es zu einem Anstieg der Zahl sehr junger Fahrer und der Freizeitfahrten gekommen ist.
Promille-Vorgabe der DDR für den Konsum von Alkohol wegfiel. (Bis zum 31. Dezember 1992 galt in den neuen Ländern und Berlin-Ost die 0,0-Promille-Regelung, d. h. „Fahrzeugführer durften bei Antritt und während der Fahrt nicht unter Einwirkung von Alkohol stehen“ (§ 7 DDR – StVO vom 26.5.77)).
Anhand dieser Entwicklungen konnte beobachtet werden, dass sich sowohl Vorstellungen und empirische Erfahrungen zum Einfluss des Konsums einer psychoaktiven Substanz auf wesentliche Bereiche der Fahrtüchtigkeit, als auch diesbezügliche informelle Normen und Regeln in der Bevölkerung erst herausbilden und etablieren mussten. Deshalb kam es in den neuen Bundesländern zunächst zu einem kurzzeitigen Anstieg alkoholbedingter Verkehrsunfälle, der sich aber schnell wieder normalisierte. Diese sozialen Lernprozesse sind folgerichtig auch bei Regulierungsprozessen von Cannabis in Rechnung zu stellen. Dazu kann als bedeutsame Erfahrung gelten, dass diese Lernprozesse nicht allein durch eine verstärkte Kontroll- und Sanktionspraxis zu initiieren sind. Vielmehr gilt es, über diverse Medien und mit entsprechenden Kampagnen zu den Zusammenhängen von Marihuana-Konsum und Verkehrssicherheit aufzuklären. Dies müsste allerdings weit über Kampagnen hinausgehen, wie sie beispielsweise in Colorado als „Drive High, Get a DUI“ praktiziert werden. Auf Grund der jahrzehntelangen Kriminalisierung und das dadurch bedingte Fehlen praktischer Alltagserfahrungen und -routinen scheint es in der Bevölkerung deutlich schwieriger, zu individuell geeigneten Konsummengen für Cannabis zu finden, die eine verantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr ermöglichen.
In beiden Bundesstaaten erfolgte der Start des Regulierungsprozesses von Marihuana weit vor dem Installieren eines funktionierenden Monitorings, mit dem die Effekte dieses drogenpolitischen Schrittes für die Entwicklung der Verkehrssicherheit begleitet und ggf. Korrekturen angemahnt werden können. Diverse, immer wieder neu festgelegte Verfahrensabläufe, das Sammeln von Daten durch unterschiedliche Institutionen mit unterschiedlichen Mustern und schließlich das Fehlen eines Konzepts, um tatsächlich über aussagefähige Daten verfügen zu können, werden bis heute zu großen Herausforderungen einer wissenschaftlichen Begleitforschung. Die Tatsache, dass viele der an der Kontrolle beteiligten Institutionen zugleich Nutznießer zusätzlicher regulierungsbedingter Steuereinnahmen sind, sofern sie die Dringlichkeit ihrer Arbeit herausstellen, legt zudem nahe, mit einem Monitoring unabhängige Institutionen zu betrauen.
Unübersehbar ist zudem, dass für weitere Forschungen die Einführung standardisierter Routinen bei der Datenerhebung notwendig sind, die weder eine Über- (z. B. durch die Wahl der Cutoff-Werte) noch eine Unterbewertung des Einflusses des Marihuana-Konsums auf die Verkehrssicherheitslage allgemein zulassen.
Detaillierte Berichterstattung und Literaturverweise unter: http://gundula-barsch.de
Die Umsetzung von Regulierungsmodellen – ein tiefgreifender sozialer Prozess
Wenngleich das Interesse an diesem Radical political Shift groß ist und Geduld schwer fällt, ist nicht zu übersehen, dass es erstens zu früh ist, Schlussfolgerungen zu potentiellen Effekten einer Regulierung abzuleiten: …